Natur, Kultur & Meeresfrüchte entlang der Atlantikküste Neuenglands
Wer sich auf die Reise entlang der Küste von New England begibt, spürt schnell: Hier geht es nicht nur um schöne Landschaften. Es geht um ein Lebensgefühl, um Orte, die wirken, als wären sie nicht für Besucher gemacht, sondern für Menschen, die gern bleiben würden. Und um Geschichten, die sich nicht nur in Museen, sondern auf den Docks, in alten Bibliotheken, zwischen Fischernetzen und Folk-Festivals erzählen.

Von den schroffen Felsen Maines über die viktorianischen Villen in Newport, Rhode Island, bis zur kolonialen Würde von New Haven, Connecticut, führt diese Reise durch fünf der sechs Neuengland-Staaten – jeder für sich einzigartig, alle gemeinsam verwoben durch eine jahrhundertealte Beziehung zum Meer. Statt touristischer Kulissen trifft man auf echten Alltag, statt überfüllter Highways oft auf Küstenstraßen, die im Nebel verschwinden, die sich um zahllose Buchten winden und jeden Kilometer zu einer eigenen Reise machen. Und das Beste: Vieles lässt sich auch ohne Mietwagen erleben – mit Amtrak-Zügen, Küstenfähren, Regionalbahnen oder gar einem persönlichen Concierge, der hilft, wo Google Maps aussteigt.
Willkommen an der Ostküste der USA – auf einer Route, die Klassiker und Unbekanntes verbindet. Und auf der man irgendwann versteht, warum sich hier bereits viele große Geschichten abgespielt haben.
Leuchttürme, Lobster & der weite Blick: Maine
Mein Startpunkt ist Portland. Nicht das im Westen, in Oregon, sondern jenes schnörkellose, salzgetränkte Portland in Maine, an der Ostküste. Ein ehemaliger Schiffbau-Hotspot, heute Kreativzentrum mit Craft Beer, Concept Stores und fangfrischem Hummer. Wer ankommt, sollte sich Zeit lassen: für die Altstadt mit ihren Backsteinfassaden, für einen Spaziergang entlang des Eastern Promenade Trail, für ein Abendessen in der Eventide Oyster Co., bei Sur Lie oder im Old Port Sea Grill. Und natürlich für einen Besuch beim berühmten Portland Head Light in Cape Elizabeth, dem meistfotografierten Leuchtturm Amerikas.

Schon hier merkt man: New England liebt klare Linien. Im Wetter, im Essen, in der Haltung. Es ist diese Mischung aus Understatement und Detailverliebtheit, die den Charme der Region ausmacht. Und der sich besonders gut erleben lässt, wenn man nicht selbst fährt, sondern sich zurücklehnt: Der Amtrak Downeaster bringt einen in gut zwei Stunden von Boston nach Portland – vorbei an kleinen Bahnhöfen, Wäldern und Wasser.

Wem das nicht reicht, der lässt sich von einem wie Steve Grasso beraten. Der Reiseplaner und Gründer von North American Traveler kennt die Region wie kaum ein Zweiter – und bietet nicht nur maßgeschneiderte Touren mit Guide, sondern auch Hotelbuchungen, Bahnverbindungen und versteckte Lieblingsorte an. „Neuengland hat nichts zu beweisen“, sagt er. „Aber viel zu erzählen.“

Abstecher gen Norden – ein Tag voller Kontraste
Maine ist aber nicht nur Portland, sondern viel, viel mehr. Mit begrenzter Zeit sollte man sich einen Mietwagen oder einen lokalen Guide schnappen und einen Tagesausflug in den Norden machen – entlang der zerklüfteten Küste, wo Salzwiesen, Docks und historische Städtchen um Aufmerksamkeit wetteifern.
Erste Station dabei: Freeport, Heimat des legendären Outdoor-Ausrüsters L.L.Bean. Der Flagship-Store hat rund um die Uhr geöffnet – ein Outdoor-Tempel mit Holzofen, Schauaquarium und riesiger Gummistiefel-Skulptur am Eingang. Wer sich für Shopping nicht erwärmen kann, findet wenige Minuten außerhalb idyllische Wanderwege im Wolfe’s Neck Woods State Park mit Blick auf die Casco Bay.

In Freeport gibt es noch einen Ort, den selbst viele Maine-Kenner erst auf den zweiten Blick entdecken: das Desert of Maine – eine surreal anmutende Sandlandschaft in Freeport, entstanden durch Überweidung und Bodenerosion. Zwar ist es kein echtes Wüstengebiet, sondern ein Areal aus feinem Gletscherschluff, doch die hellen Dünen inmitten grüner Wälder schaffen eine Kulisse, wie man sie sonst eher im Westen der USA vermutet. Seit dem Besitzerwechsel im Jahr 2018 haben Mela und Doug Heestand das 40 Hektar große Gelände behutsam renoviert und zu einem charmanten Mikroabenteuerplatz gemacht – mit Sandkunst, Edelstein-Waschstation, Naturpfaden und viel Liebe zum Detail. „Wir wollten einen Ort schaffen, der nicht nur Besuchern gefällt, sondern auf den auch die Einheimischen stolz sein können“, sagt Doug. Wer länger bleiben will, kann in modern gestalteten A-Frames, Hütten oder stylischen Domes übernachten – mitten in der Natur, aber mit Stil und Komfort. Ein Geheimtipp, der aus dem Rahmen fällt – im besten Sinne.

Weiter geht’s nach Bath, der „City of Ships“. Die maritime Vergangenheit ist hier überall spürbar – ob im exzellenten Maine Maritime Museum oder bei einer Werftführung in der Bath Iron Works, wo bis heute Schiffe für die US Navy gebaut werden. Am Ufer schaukeln die Masten, und es riecht nach Seetang, Lack und Geschichte.

Hinter Bath führt eine kleine Küstenstraße bis nach Damariscotta, einem charmanten Ort mit viktorianischen Häusern, einem alten Kino und einem Hauch von Europa in der Luft. In der Bäckerei gibt’s warmen Zimtkaffee, auf dem Fluss ziehen Austernfischer ihre Reusen ein.
Letzter Stopp: Boothbay Harbor – ein lebendiger Fischer- und Künstlerort, perfekt für Lunch mit Meerblick oder eine Bootstour zu den vorgelagerten Inseln. Wer Glück hat, sieht Wale, Seehunde oder den Leuchtturm von Burnt Island in der Ferne. Die Rückfahrt nach Portland wirkt wie ein sanftes Ausrollen – mit salziger Haut, vollen Speicherkarten und dem Wunsch, bald wiederzukommen.

Zurück in Portland lohnt ein kurzer Abstecher in die Breakwater Marina im Stadtteil South Portland – genauer gesagt in ein unscheinbares Industriegebäude, in dem Brant & Cochran eine fast vergessene Handwerkskunst neu beleben: das Schmieden amerikanischer Äxte. In der kleinen Werkstatt, die zugleich Showroom ist, trifft man auf rauen Stahl, warmes Holz – und Menschen mit echter Leidenschaft. Eine der Schmiedinnen führt gerade vor, wie glühendes Metall zur „Allagash Cruiser“ wird – einer Axt, deren Form auf traditionelle Logging-Werkzeuge aus dem Norden Maines zurückgeht. Jede Klinge ist handsigniert, viele basieren auf alten Werkzeugfunden, die hier liebevoll restauriert werden. Eine neue Axt kostet ab rund 250 Dollar – ein besonderes Souvenir, das allerdings nur mit vorheriger Absprache mit der Airline (wegen Transportbestimmungen) im Gepäck landen sollte. Wer sich für Handwerk, Geschichte und amerikanische Symbolik interessiert, wird den Besuch nicht vergessen.

Entlang der Küste: Von Portland bis Gloucester
In die andere Richtung, südlich von Portland, wird die Küste klassischer. Statt rauer Kiefern und einsamer Inseln dominieren nun historische Häuser, viktorianische Seebäder und charmante Inns mit Flaggen an der Veranda. Erster Halt: Old Orchard Beach. Der breite Sandstrand und der ikonische Pier mit Vergnügungspark und Spielhallen atmen den Charme vergangener Jahrzehnte – eine nostalgische Mischung aus Atlantikluft, Zuckerwatte und Sonnenhüten. In der Hauptsaison vibriert der Ort vor Leben, doch frühmorgens gehört der Strand nur den Möwen, Läufern und dem Wind.
Wenige Meilen weiter erreicht man Kennebunkport, einst Heimat von Fischern und Seefahrern, heute eleganter Rückzugsort für betuchte Sommergäste (auch die Bush-Familie besitzt hier ein Anwesen). Der kleine Ort überrascht mit einer gelungenen Mischung aus entspannter Promenade, Galerien und kleinen Restaurants. Im Ortsteil Cape Porpoise werfen Hummerboote ihre Körbe, Möwen kreischen im Wind und man isst direkt am Dock: frische Lobster Rolls oder gegrillten Schwertfisch mit Blick aufs Wasser.

Kurz hinter Kennebunkport liegt Perkins Cove, ein winziges Hafenbecken mit Fischerbooten, Galerien und Cafés – verbunden durch eine hölzerne Zugbrücke, die man noch von Hand bedient. Von hier führt der Marginal Way, ein spektakulärer Küstenpfad auf Felsklippen, direkt ins Zentrum von Ogunquit. Der Weg ist nur rund zwei Kilometer lang, aber voll atemberaubender Ausblicke: auf Brandung, Blüten und das ewige Blau des Atlantiks. In Ogunquit selbst mischt sich eine LGBTQ+-freundliche Urlaubsatmosphäre mit Künstlergeschichte. Ein Höhepunkt: das Ogunquit Museum of American Art, wunderschön am Wasser gelegen und mit Werken u. a. von Marsden Hartley oder Edward Hopper.

Kurz vor der Staatsgrenze zu New Hampshire wartet noch ein letzter Leuchtturmmoment: der Cape Neddick Light, besser bekannt als Nubble Light. Der rot-weiße Turm thront auf einer kleinen Felseninsel und zählt zu den schönsten Fotomotiven an Maines Südküste – besonders bei Sonnenuntergang, wenn das Licht warm über das Wasser zieht und die Wellen leise an den Fels schlagen.

Ein Stück weiter südlich liegt Portsmouth, schon in New Hampshire. Trotz der kurzen Küstenlinie dieses Bundesstaats ist es ein echtes Highlight. Die Altstadt mit ihren roten Backsteinfassaden und ehemaligen Lagerhäusern lebt von Kunst, Kulinarik und Geschichte: Im Strawbery Banke Museum, einem begehbaren Freilichtmuseum, erlebt man drei Jahrhunderte amerikanischer Siedlungsgeschichte – von Kolonialzeit bis zur Nachkriegsmoderne. Nur wenige Blocks entfernt sitzt man auf der Terrasse einer Craft-Brauerei oder eines Oyster-Bars und genießt das maritime Lebensgefühl.

Folgt man der Küstenlinie weiter nach Süden, gelangt man nach Newburyport – einem weiteren Juwel zwischen Tradition und Lifestyle. Nun ist man bereits in Massachusetts angekommen. Die restaurierten Speicherhäuser am Merrimack River beherbergen heute Boutiquen, Cafés und kleine Galerien. Wer Lust auf Bewegung hat, mietet sich ein Fahrrad und erkundet das nahegelegene Plum Island, ein langgestrecktes Naturparadies mit Dünen, Vogelbeobachtungstürmen und endlosen Stränden. Auch hier zeigt sich: New England ist nicht nur eine Region, sondern ein Lebensgefühl.

Rockport, vielleicht der fotogenste aller Fischerorte an der Nordküste von Massachusetts, bildet den visuellen Höhepunkt dieses Abschnitts. Das rote Bootshaus Motif No. 1 gilt als eines der meistgemalten Motive Amerikas – und das aus gutem Grund. Der kleine Hafen liegt ruhig eingebettet zwischen Granitfelsen, Künstlerateliers und Souvenirläden, in denen statt Kitsch oft hochwertiges Handwerk angeboten wird. Abends, wenn das Licht warm auf die Fassaden fällt und das Möwengekreisch langsam dem Klang einer Akustikgitarre weicht, scheint die Zeit in Rockport stillzustehen. Und genau dann, mitten im goldenen Licht eines Spätnachmittags, versteht man, warum so viele Gäste Jahr für Jahr wiederkommen. Und manche einfach bleiben.

Nur wenige Meilen südlich wartet ein weiterer Küstenklassiker: Gloucester, Amerikas ältester durchgängig aktiver Fischereihafen und heute bekannt für seine außergewöhnlichen Walbeobachtungstouren. Von hier aus starten Boote wie die von Cape Ann Whale Watch hinaus auf den Atlantik zu Buckelwalen, Minkewalen und mit etwas Glück sogar Delfinen, die nur wenige Meter vom Bug entfernt aus dem Wasser auftauchen. Doch auch an Land lohnt sich der Besuch: Im Ort erinnern das Fishermen’s Memorial, Kunstgalerien, historische Kapitänshäuser und das Maritime Heritage Center an eine bewegte Vergangenheit zwischen Kabeljau, Kunst und Küstenstürmen.

Ein besonderer Ort zum Verweilen ist das Atlantis Oceanfront Inn, ein charmantes Hotel direkt am Wasser mit unverbautem Blick auf die offene See und Thacher Island, dessen zwei ikonische Leuchttürme wie ein Wächterpaar aus dem Morgennebel ragen. Wer früh aufsteht, wird mit Sonnenaufgängen belohnt, die den Himmel in Gold und Rosé tauchen – ein Moment der Ruhe, der für viele Gäste zu den bleibendsten Eindrücken der Reise zählt. Gloucester ist rauer als Rockport, authentischer vielleicht – und auf jeden Fall ein perfekter Abschluss für diesen Teil der Route.

Salem, Lexington, Boston: Hexen, Geschichte und Hafenflair

Kaum ein Name in Neuengland ist so aufgeladen wie Salem – die Stadt in Massachusetts, in der 1692 die berüchtigten Hexenprozesse stattfanden. Heute lebt Salem von genau diesem historischen Erbe: Im Sommer und besonders rund um Halloween strömen Hunderttausende in die Kleinstadt, um sich zwischen Hexenmuseen, Geisterführungen und Gruseldekorationen treiben zu lassen. Doch Salem ist mehr als Kulisse. Das Peabody Essex Museum etwa gehört – ganz ohne Hexen – zu den besten Kunstmuseen der Region, mit Exponaten aus aller Welt, darunter ein originales chinesisches Handelshaus. Und wer frühmorgens durch die ruhigeren Straßen abseits des Trubels spaziert, spürt, dass diese Stadt tatsächlich viel mehr erzählt als nur eine Gruselgeschichte. Direkt am Wasser lädt die Salem Maritime National Historic Site zu einem Spaziergang durch Amerikas frühe Handelsgeschichte ein – samt historischen Gebäuden, nachgebautem Segelschiff und Blick auf den einst bedeutenden Hafen. Gleich daneben erinnert das Custom House, in dem Nathaniel Hawthorne einst arbeitete, an die literarischen Wurzeln der Stadt. Und auch das legendäre House of the Seven Gables, das als Inspiration für Hawthornes gleichnamigen Roman diente, kann heute besucht werden – ein atmosphärisches Holzhaus aus dem 17. Jahrhundert mit Garten und Blick aufs Meer. Wer über die Uferpromenade bis zum Ankerdenkmal spaziert, entdeckt dabei nicht nur Geschichte, sondern auch einen Ort stiller Würde – ein Symbol für Salems maritime Seele.

Bevor es weiter nach Boston geht, lohnt sich ein Abstecher ins Landesinnere – nach Lexington, rund 30 Kilometer westlich von Salem gelegen. Denn genau hier, am Lexington Green, begann 1775 der bewaffnete Widerstand gegen die britische Kolonialmacht – mit dem ersten Schuss der Amerikanischen Revolution. „The shot heard ’round the world“, wie es später in einem Gedicht hieß, fiel hier – auf einer Wiese, die heute ruhig daliegt, flankiert von Gedenksteinen, gepflegten Häusern und historischen Markierungen. 2026, zum 250-jährigen Jubiläum der USA, wird Lexington einmal mehr im Mittelpunkt nationaler Feierlichkeiten stehen – ein geschichtsträchtiger Ort, der sich seine Würde bewahrt hat.

Zu Fuß oder per Tour lassen sich weitere Stationen wie das Buckman Tavern oder das Minute Man National Historical Park Visitor Center erkunden – wo sich moderne Ausstellungstechnik und greifbare Geschichte berühren. Für eine stilvolle Übernachtung empfiehlt sich das elegante Inn at Hastings Park, ein charmantes Boutique-Hotel direkt in Lexington, das historischen Charme mit modernem Komfort verbindet. Die Zimmer sind individuell gestaltet, das Restaurant serviert Farm-to-Table-Küche, und der Spaziergang zum Lexington Green dauert keine fünf Minuten – ideal für alle, die Geschichte nicht nur erleben, sondern auch ein wenig nachfühlen möchten.

Von hier ist es nun nicht weit nach Boston – eine der ältesten und bedeutendsten Städte der USA, ein Ort, an dem Geschichte und Gegenwart auf Schritt und Tritt ineinandergreifen. Am Boston Common beginnt der sogenannte Freedom Trail, ein 4 Kilometer langer Spaziergang zu den wichtigsten Schauplätzen der amerikanischen Revolution: Paul Reveres Haus, die Old North Church, Faneuil Hall, das Massachusetts State House. Aber Boston ist nicht nur historisch. Es ist auch jung, lebendig, intellektuell – geprägt von Dutzenden Colleges und Universitäten, von Harvard über MIT bis Berklee College of Music.

Wer die Stadt lieber vom Wasser aus entdecken will, nimmt ein Wassertaxi oder eine Hafenrundfahrt – oder geht einen Schritt weiter: Per Ausflugsboot lassen sich auch die Boston Harbor Islands erkunden, eine kleine, überraschend grüne Inselgruppe direkt vor der Skyline. Für Tagestrips empfiehlt sich im Sommer sogar ein Bootsausflug auf Cape Cod, oft ab Long Wharf oder Seaport District buchbar – ideal, wenn man Lust auf weiße Strände, Küstendörfer und ein paar Stunden Seeluft hat.

Und dann ist da noch das Lebensgefühl: der Geruch von Salzwasser und Espresso auf dem Harborwalk, Jazz im Public Garden, Picknick am Charles River. Boston ist nicht die lauteste, aber vielleicht die eleganteste Stadt der USA – klassisch und modern zugleich, urban und naturverbunden, bodenständig und weltoffen.

Rhode Island: Villen, Visionen und frische Austern
Unsere Reise entlang der New-England-Küste führt uns weiter nach Süden – in den kleinsten Bundesstaat der USA, der an Vielfalt und Charme jedoch ganz groß auftritt. Bereits bei der Einfahrt nach Newport, Rhode Island, weht ein Hauch von Vergangenheit durch die Seeluft: Entlang des berühmten Cliff Walks reihen sich prachtvolle Villen aus der Zeit der Gilded Age, allen voran The Breakers, einst Sommersitz der Vanderbilt-Dynastie. Innen wie außen ist das Herrenhaus eine Reise zurück in die Ära des industriellen Überflusses, mit Blick auf die raue Küste und eine Architektur, die Geschichten von Macht und Exzess erzählt. Wer lieber glänzendes Blech bestaunt, findet im Audrain Automobile Museum oder im Newport Car Museum Inspiration zwischen Designklassikern und PS-Giganten.

Die Romantik der See vor Newport zeigt sich von ihrer stilleren Seite auf Rose Island: ein Leuchtturm, eine Nacht, umgeben von Nichts als Wellen und Wind. Wer sich traut, kann hier übernachten – ein Ort wie aus einem Roman von Virginia Woolf.

Weiter südlich öffnet sich das Land – und das Portemonnaie der Gäste: Im South County flaniert man durch Watch Hill, nippt Champagner im legendären Nobelhotel Ocean House und blickt von der Terrasse aufs Meer, das in den Sonnenaufgang gleitet. In Westerly dagegen trifft Kunst auf Natur: Zwei riesige Holzskulpturen des dänischen Künstlers Thomas Dambo – die Trolle „Erik Rock“ und „Greta Grant“ – beleben den Ninigret Park und bringen ein Lächeln auf die Gesichter der Besucher.

Kulinarisch bleibt man am besten direkt an der Küste: In Wakefield liegt die Matunuck Oyster Bar, wo Besitzer Perry Raso auch nach dem Großbrand im Sommer 2025 unermüdlich weitermacht – mit Farm-to-Table-Seafood, Austernfarmtouren und einem Versprechen: Nachhaltigkeit und Qualität, direkt aus dem Wasser auf den Teller. Rhode Island ist klein, aber voller Geschichten – salzig, süß und manchmal mit einer Prise Hollywood.

Yale, Mark Twain & Pizza mit Geschichte

Über die Grenze nach Connecticut ändert sich scheinbar der Ton – eleganter, kultivierter, doch nicht weniger herzlich. In Mystic erzählt das Seaport Museum mit restaurierten Walfängern und alten Segelschiffen von Amerikas maritimer Vergangenheit. Direkt nebenan: das charmante Stadtzentrum mit kleinen Cafés und einer Zugbrücke, die sich noch für die großen Schoner hebt. Ein Ausflug ins Mashantucket Pequot Museum offenbart tiefe Einblicke in die indigene Geschichte des Nordostens – multimedial, beeindruckend und bewegend.

Ein paar Meilen weiter lädt das stilvolle Madison Beach Hotel zum Ausatmen ein. Direkt am Long Island Sound gelegen, locken Spaziergänge am Wasser, Vogelstimmen, frischer Hummer und vielleicht sogar ein Weißkopfseeadler am Himmel. Ursprünglich im frühen 19. Jahrhundert als Unterkunft für Schiffsbauer errichtet, ist das Hotel heute das älteste durchgehend betriebene Beherbergungsbetrieb an der Küste von Connecticut. Die hauseigene Gourmetadresse „The Wharf“ serviert klassische Neuengland‑Meeresfrüchte mit moderner Note, auf nachhaltiger Farm‑to‑table‑Basis – begleitet von einer großzügigen Terrasse mit Blick auf den Sound. In der gemütlichen Bar genießt man handgemixte Cocktails, Craft‑Beer vom Fass und feine Weine – ideal für einen Sundowner auf der Veranda mit Blick aufs Meer.

Dann wartet New Haven – Heimat der renommierten Yale University. Zwischen gotischen Bibliotheken und zeitgenössischen Galerien liegt der Campus wie eine Stadt in der Stadt. In der Yale University Art Gallery hängen Werke von Velázquez, Rembrandt, Hopper und Warhol. Der Eintritt ist frei.

Wer den Ort durch Gaumen und Geschichte erkunden will, schließt sich der Walking Tour Taste of New Haven an. Zwischen „Apizza“ bei Pepe’s, klassischen „Burgersandwiches“ bei Louis‘ Lunch, Nuevo-Latino Seafood und Cocktails bei Pacifico oder Falafelständen und Dessertshops erfährt man von Charles Dickens’ Besuch, Speakeasy Bars und studentischen Streichen.

Unser letzter Stopp ist schließlich Hartford, die Hauptstadt Connecticuts, so rein gar nicht mehr an der Küste gelegen, aber der nächstgelegene größere Flughafen. Das Mark Twain House, in dem einst der Autor von „Tom Sawyer” und „Huckleberry Finn”, dessen richtiger Name Samuel Langhorne Clemens war, lebte, riecht irgendwie noch immer nach Tinte und Zigarren. Nicht weit davon entfernt liegt der hippe Parkville Market – ein ehemaliger Industriebau, heute Heimat von Streetfood aus aller Welt. Und wenn die Nacht ruft, klingt sie in der Infinity Music Hall nach Jazz, Country oder Indie. Connecticut zeigt sich als Mix aus Vergangenheit und Gegenwart, Literatur und Lebenslust. Ein würdiger Abschluss für diese Reise entlang der Küste New Englands.

Ohne Auto durch Neuengland?
Wer Neuengland bereisen will, muss nicht zwangsläufig selbst fahren. Die Region bietet überraschend viele Möglichkeiten, auch ohne Mietwagen voranzukommen – entspannt, nachhaltig und nah dran am Alltag der Einheimischen.
🚄 Per Zug und Bahn:
- Amtrak Downeaster: Verbindet Boston mit Portland, ME – fünfmal täglich, günstig und bequem. Auch Freeport (L.L.Bean) ist an der Strecke.
- Amtrak Northeast Regional: Für Strecken wie Boston – Providence – New Haven – New York City.
- MBTA Commuter Rail: Das Regionalbahnnetz rund um Boston bringt dich u. a. nach Salem, Newburyport oder Rockport.
- Shore Line East: Regionalzug entlang der Südküste von Connecticut – z. B. New Haven – Old Saybrook – New London.
🚌 Fernbus & Regionalbus:
- Greyhound, Megabus & Peter Pan Bus Lines: Für längere Strecken, z. B. Boston – Hartford – Mystic oder Providence – NYC.
- Lokale Busnetze: In Städten wie Portland, Providence oder New Haven oft gut ausgebaut.
🛳 Fähren & Boote:
- Boston Harbor Cruises: Tagesausflüge auf die Harbor Islands oder nach Cape Cod.
- Casco Bay Lines: Inselhopping vor Portland (z. B. Peaks Island).
- Block Island Ferry: Von Point Judith (RI) oder New London (CT).
💼 Reiseservice mit Guide:
- North American Traveler / Steve Grasso: Persönliche Reiseplanung mit oder ohne Auto, Buchung von Hotels, Zügen, Touren. Besonders praktisch für individuelle Kombinationen von ÖPNV & Privatguiding → www.natraveler.com.
Tipp: Wer flexibel bleibt und Strecken clever kombiniert, kann die gesamte Tour von Maine bis Connecticut auch ohne Mietwagen bewältigen – mit unvergesslichen Perspektiven aus dem Zugfenster, vom Boot aus oder bei geführten Touren. Allerdings sind hier eine gute Planung und leichtes Gepäck erforderlich; außerdem sind Züge auch in New England nicht immer zuverlässig. Für entlegenere Orte lohnen sich ggf. 1–2 Tage Mietwagen. In den Ballungszentren sind außerdem Uber, Lyft & Co. verfügbar.
Top 10: Highlights entlang der Neuengland-Küste
- Portland Head Light (ME)
Der berühmteste Leuchtturm Amerikas – perfekt für Fotos bei Sonnenuntergang.
- Strawbery Banke Museum (NH)
Geschichte zum Anfassen – von der Kolonialzeit bis 1950.
- Plum Island (MA)
Naturparadies bei Newburyport – Radfahren, Vögel beobachten, Baden.
- Motif No. 1 in Rockport (MA)
Das meistgemalte Bootshaus der USA – kitschfrei und wunderschön.
- Peabody Essex Museum in Salem (MA)
Eines der Kunstmuseen der Region mit Exponaten aus aller Welt.
- Cape Cod Ausflug per Boot (MA)
Weiße Strände, Dünen, Leuchttürme – direkt ab Boston.
- Newport Cliff Walk & Vanderbilt-Villen (RI)
Pracht und Pathos entlang der Gilded Age-Küste.
- Austernfarm-Tour in Matunuck (RI)
Farm-to-Table trifft Meeresbrise – mit Nachhaltigkeitsanspruch.
- Mystic Seaport Museum (CT)
Segelschiffe, Werften und Amerikas maritime Geschichte.
- Walking Food Tour in New Haven (CT)
Zwischen Yale, Apizza und Literatur – so schmeckt Connecticut.
Infos: Küstentour durch Neuengland
Reisedauer:
10–14 Tage (idealerweise mit Zwischenstopps und 1–2 Übernachtungen pro Ort)
Beste Reisezeit:
Mai–Juni oder September–Oktober → Blüte & milde Temperaturen im Frühling, bunte Herbstlaubfärbung (Indian Summer) ab Mitte/Ende September
Route (Nord → Süd):
Portland (ME) → Freeport/Bath/Boothbay Harbor → Kennebunkport → Portsmouth (NH) → Newburyport (MA) → Rockport → Salem → Boston → Newport (RI) → South County → Mystic (CT) → New Haven → Hartford
Websites & weitere Infos:
- discovernewengland.org
- visitmaine.com
- www.visitnh.gov
- www.visitma.com
- www.visitrhodeisland.com
- ctvisit.com
- natraveler.com – Personal Travel Concierge
- amtrak.com – Downeaster & Northeast Regional
- mbta.com – Boston Region (Commuter Rail)
Hotelempfehlungen:
- Portland, ME: Hyatt Place Portland Downtown‑Old Port Square, www.hyatt.com
- Portsmouth, NH: The Hotel Portsmouth, www.larkhotels.com/hotels/the-hotel-portsmouth
- Salem, MA: The Hotel Salem, www.thehotelsalem.com
- Boston, MA: AKA Boston Common, www.stayaka.com/locations/boston-common
- Newport, RI: Newport Harbor Island Resort, www.newportharborisland.com
- Westerly, RI: Margin Street Inn, www.marginstreetinn.com
- Madison, CT: Madison Beach Hotel, www.madisonbeachhotel.com
- Hartford, CT: The Goodwin Hotel, www.thegoodwin.com
Tipps:
- In beliebten Orten (z. B. Newport, Rockport, Mystic) ist Frühbuchung für Unterkünfte empfehlenswert
- Schichtkleidung mitnehmen: Küstenwetter kann zu jeder Jahreszeit schnell wechseln
Roadtrip dankt Destination New England für die freundliche Unterstützung bei dieser Reise.
Zu den New-England-Staaten gehört außerdem der Bundesstaat Vermont, der einzige ohne Atlantikzugang und daher in diesem Artikel nicht erwähnt.
-> Noch mehr Neuengland auf Roadtrip gibt es hier: Im Takt der Natur: Roadtrip durch die Berkshires




